Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Uzwil
11.11.2025
11.11.2025 12:54 Uhr

Verwaltungsgericht verlangt Baubewilligung für Flüchtlingszentrum

Archivbild Marienfried Niederuzwil. Bild: uzwil24.ch
Im Streit um das Flüchtlingszentrum Marienfried in Niederuzwil hat das Verwaltungsgericht St. Gallen im Urteil B 2024/197 entschieden: Für die Nutzung des ehemaligen Altersheims als Asylunterkunft ist eine Baubewilligung zwingend erforderlich. Das Urteil schafft - adressiert an alle Gemeinden und Betreiber - Klarheit für künftige Projekte im Kanton.

Hintergrund: Streit um die Zwischennutzung

Das Gebäude Marienfried war jahrzehntelang ein Alters- und Pflegeheim und stand nach der Schliessung leer. Im Jahr 2023 wurde es vom Trägerverein Integrationsprojekte St. Gallen (TISG) übernommen, um dort vorübergehend junge Geflüchtete unterzubringen.
Die Gemeinde Uzwil bewilligte den Betrieb zunächst als „Zwischennutzung“ ohne formelles Baugesuch. Dagegen erhob die benachbarte Thurklinik AG Beschwerde. Sie argumentierte, die Nutzung als Asylzentrum unterscheide sich grundlegend vom bisherigen Zweck des Gebäudes und führe zu zusätzlichen Immissionen wie Lärm, Verkehr und Publikumsverkehr. Zudem sei die Klinik nicht rechtzeitig über das Vorhaben informiert worden.

Gericht: Nutzung rechtlich nicht gedeckt

Das Verwaltungsgericht gibt der Thurklinik in zentralen Punkten recht. In den Erwägungen 5 bis 11 hält es fest, dass die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft keine blosse Zweckänderung sei, sondern eine baurechtlich relevante Umnutzung.
Die frühere Nutzung als Pflegeheim und die heutige Nutzung als Unterkunft für junge, teils unbegleitete Flüchtlinge unterscheiden sich in Betriebsabläufen, Klientel und Umwelteinwirkungen derart, dass sie als neue Nutzung im Sinne des Planungs- und Baugesetzes (PBG) zu werten ist, schreibt das Gericht.
Damit wird erstmals auf kantonaler Ebene bestätigt, dass selbst bei unverändertem Gebäudeinnern eine Bewilligungspflicht bestehen kann, wenn sich das Nutzungskonzept, die Belegung oder die Auswirkungen auf Nachbarn wesentlich ändern.

Kritik an Gemeinde und Betreiber

Das Gericht kritisiert das Vorgehen der Gemeinde Uzwil: Sie habe sich zu sehr auf eine interne Einschätzung verlassen, wonach „keine baulichen Veränderungen“ eine Bewilligungspflicht ausschlössen. Diese Interpretation sei „nicht haltbar“, weil auch betriebliche Änderungen unter die Bewilligungspflicht fielen.
Der TISG wird vorgeworfen, den Betrieb aufgenommen zu haben, bevor die Rechtslage endgültig geklärt war. Beides zusammen führte laut Gericht zu einem formell rechtswidrigen Betrieb – allerdings ohne konkrete Gefährdung der Umgebung.

Keine sofortige Schliessung – aber Auflagen

Trotz des formellen Mangels ordnet das Verwaltungsgericht keinen sofortigen Betriebsstopp an. Eine Schliessung wäre „unverhältnismässig“, da das Zentrum wichtige Unterbringungskapazitäten im Kanton bereitstellt.
Der Weiterbetrieb wird bis zur Rechtskraft eines nachträglichen Baugesuchs geduldet, unter Auflagen:

  • Maximal 40 Bewohnerinnen und Bewohner
  • Einhaltung des TISG-Betreuungskonzepts
  • Keine wesentlichen neuen Immissionen
  • Einreichung des Baugesuchs bis spätestens 31. Januar 2026

Wird dieses Gesuch bewilligt, darf die Unterkunft bis Ende 2029 weitergeführt werden.

Präzedenzwirkung über Uzwil hinaus

Der Entscheid hat Signalwirkung für den ganzen Kanton. Viele Gemeinden greifen bei leerstehenden Heimen, Hotels oder Personalhäusern zu provisorischen Lösungen für Flüchtlinge. Das Urteil stellt klar: Jede Nutzung, die sich in Art, Intensität oder sozialem Zweck erheblich vom bisherigen Gebrauch unterscheidet, braucht eine formelle Baubewilligung. Damit schafft das Verwaltungsgericht Rechtsklarheit, aber auch neue Pflichten – sowohl für Betreiber wie den TISG als auch für die Gemeinden, die Unterkünfte bewilligen.
Für Gemeinden bedeutet das: Künftige Asyl- oder Sozialunterkünfte dürfen nicht ohne ordentliches Baubewilligungsverfahren in Betrieb genommen werden, selbst wenn am Gebäude selbst kaum Umbauten erfolgen.

Stimmen zum Urteil

Gemeindepräsident Lucas Keel erklärte gegenüber Uzwil24, dass man das Urteil zur Kenntnis nehme und dass der Zweckverband SeniorenZentrum Uzwil als Eigentümerin und Vermieterin das Baugesuch fristgerecht einreichen müsse. Der Betrieb des Zentrums bleibe für die Gemeinde eine humanitäre, aber auch juristisch anspruchsvolle Aufgabe. Von Seiten der Thurklinik AG hiess es, das Urteil bringe endlich die notwendige Rechtssicherheit.

Fazit

Mit diesem Entscheid setzt das Verwaltungsgericht St. Gallen ein deutliches Zeichen für Sorgfalt, Rücksicht und Transparenz bei der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften. Das Haus Marienfried bleibt vorerst geöffnet – doch künftig müssen alle Beteiligten den ordentlichen Rechtsweg einhalten.

Quelle: Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen, Urteil B 2024/197 vom 13.10.2025.

Jürg Grau